Autorenlesung Peter Stamm (31.01.13)
„Ich bin bereit, alle eure Fragen zu beantworten, denn sie sind ja schließlich dazu da, damit man sie stellen kann“…
…so startete Peter Stamm die Autorenlesung am 31. Januar 2013 an unserer Schule. Der Schweizer Autor verfasste den Roman „Agnes“, der in der Kursstufe unser Abitur-Sternchenthema ist. Ich durfte während dieser Lesung die Moderation übernehmen. Ehrlich gesagt war ich vor der Lesung keineswegs aufgeregt oder nervös. Meine Freunde sprachen mich in der großen Pause darauf an, ob ich keine Angst davor hätte, vor meiner ganzen Stufe und vor Peter Stamm moderieren zu sollen. Natürlich war das Publikum ziemlich groß und neben mir saß ein berühmter Autor, den ich zuvor nur vom Titelblatt meiner Lektürenhilfe kannte, jedoch konnte ich die Aufregung glücklicherweise gut überwinden - zumal mir es Peter Stamm durch seine freundliche und sympathische Art leicht machte. Zuerst las Peter Stamm eine kurze Textpassage aus „Agnes“. Anschließend war ich dran und sollte meine eigenen Fragen stellen. Als erstes interessierte mich, welche Fragen er gerne beantworte und welche eher ungern. Seine Antwort lautete: „Eigentlich gibt es überhaupt keine Fragen, die ich ungern beantworte. Fragen sind ja schließlich da, um sie zu klären, deswegen sollten die Schüler sie stellen…“. Unser Dialog verlief sehr entspannt und mit lustigen Momenten. zum Teil erhielt ich jedoch keine präzise und konkrete Antwort auf meine Fragen. So erfuhren wir, dass er ohne genauen Plan schreibt. Er trage durchaus längere Zeit eine Idee für eine Geschichte mit sich rum und warte darauf, dass ihm ein erster Satz einfällt. Wenn der da sei, schreibe er los, ohne zu wissen, wie sich die Geschichte genau entwickelt, wo sie hinführt. Motive (z.B. der Tod in „Agnes“), Charakterisierungen und Handlungselemente ergäben sich, wenn er in einer Geschichte „drin“ sei, automatisch, eher unbewusst. Jedoch folge dann eine lange Phase der Überarbeitung des Textes. So lautete der erste Satz des Romans ganz am Anfang: „Agnes ist gestorben.“ Dies änderte er in „Agnes ist tot.“ Eine Änderung, die genau zur Verunsicherung des Lesers führt, ob Agnes wirklich tot, also gestorben ist oder nicht. Er möchte dies somit wohl bewusst in der Schwebe halten. Auch die Namen für seine Figuren fallen ihm zufällig zu, wobei er sich dann aber über die Bedeutung der Namen informiert und überlegt, ob diese tatsächlich zu seiner Figur passt. Auf den Namen „Agnes“ kam er durch die Lektüre eines romantischen Gedichts von John Keats. Während wir Fragen zu Interpretationsansätzen oder zu seiner Sicht in Bezug auf das Buch „Agnes“ stellten, verteidigte er sich deshalb wiederholt mit der Aussage, er interpretiere seine eigenen Romane nie. Jeder solle sich sein eigenes Bild im Kopf malen, er möchte keine der Bilder beeinflussen. Das erscheint zwar aus seiner Sicht plausibel, jedoch empfinde ich dieses Resultat als enttäuschend. Denn wir Schüler hofften, die Sicht des Autors erfahren zu können, aber es gelang uns nicht in allen Punkten. Wenn man ihm aber vorwirft, seine Figuren seien kalt, gefühllos, dann ärgert ihn das, weil es für ihn nicht so sei: „Die beiden haben sich schon geliebt …“ Allerdings gäbe es zwischen den beiden erhebliche Kommunikationsprobleme, die er, auf meine Nachfrage, als durchaus nicht selten zwischen Liebespaaren erfahren habe. Die Beantwortung der Frage, ob Agnes tot sei, verweigerte er beharrlich. Immerhin gab er den nicht unwichtigen Hinweis, dass für den Ich-Erzähler Agnes auf jeden Fall tot ist, deshalb suche dieser sie auch nicht am Ende. Der Leser jedoch kann diese Gewissheit nicht haben, weil es im Roman auch Signale gibt, die ein Verschwinden Agnes‘ nahelegen.
Für mich war es eine sehr positive Erfahrung, Peter Stamm kennenzulernen, das Moderieren hat mir eine große Freude bereitet. Jedoch fand ich es schade, dass wir mit einer gewissen Enttäuschung die Lesung beenden mussten, da wir Schüler unsere Fragezeichen im Kopf nicht zufriedenstellen konnten. Immerhin bleiben so die Diskussionen im Deutschunterricht spannend. Der Satz, er beantworte alle Fragen, erschien für mich wie eine Utopie…
(Sevde C.)